Fachgespräch der CDU/CSU- und SPD-Fraktion zur Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen

Am 8. Mai 2014 fand in Berlin ein gemeinsames Fachgespräch der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zur Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen statt, zu dem mehrere Sachverständige eingeladen waren – siehe Pressemitteilung „Beteiligung von Schwerbehindertenvertretern stärken – Schlüsselrolle bei Prävention und Wiedereingliederung” des Beauftragten für Menschen mit Behinderungen der CDU/CSU-Fraktion, Herrn Schummer, MdB, zu dem Fachgespräch: https://www.cducsu.de/presse/pressemitteilungen/beteiligung-von-schwerbehindertenvertretern-staerken

Meine Antworten als Sachverständiger auf die schriftlichen Fragen im Rahmen des Fachgesprächs können Sie hier nachlesen:

Fragen an die Sachverständigen von
Uwe Schummer, MdB und Kerstin Tack, MdB – Gemeinsames Fachgespräch der Fraktionen CDU/CSU und SPD zur Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen am 08.05.2014 in Berlin

1.  Wie kann eine effektive betriebliche Vertretung aller Menschen mit Behinderung oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen in möglichst vielen Betrieben gesichert werden? Welche Änderungen im Teil 2 SGB IX (und ggf. SchwbVWO) sind hierfür notwendig; welche Begrifflichkeiten sollten sich ändern?

Die betriebliche Vertretung von Menschen mit Behinderung oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen erfolgt in enger Zusammenarbeit von Schwerbehindertenvertretung und Betriebsrat bzw. Personalrat. Die Einteilung in schwerbehinderte Menschen (Grad der Behinderung von 50 und mehr), gleichgestellte Menschen (Grad der Behinderung von 30 oder 40 und Gleichstellung durch die Agentur für Arbeit) und Menschen mit „leichter“ Behinderung hat sich grundsätzlich bewährt. Bei schwerbehinderten Menschen ist von einem erhöhten Beratungs- und Unterstützungsbedarf auszugehen, um eine Teilhabe am Arbeitsleben sicherzustellen. Auf Grund ihres besonderen und auf langjährige Erfahrung beruhenden Fachwissens  ist hier die Schwerbehindertenvertretung der kompetente Berater und Motor für eine erfolgreiche Eingliederung in das Arbeitsleben. Gleiches trifft auch auf die den schwerbehinderten gleichgestellten Menschen zu.

Den Belangen von Beschäftigten mit einer „leichten“ Behinderung kann u. a. durch eine konsequente Anwendung von Arbeitsschutzvorschriften und die Entwicklung gesundheitsfördernder betrieblicher Arbeitsbedingungen Rechnung getragen werden. Hier sind vielfach die Personal- sowie Betriebsräte aktiv. Es gehört bereits jetzt schon zu den gesetzlichen Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung (§ 95 Absatz 1 Satz 3 SGB IX), diesen Personenkreis bei Anträgen an die Versorgungsämter auf Feststellung einer Schwerbehinderung sowie bei Anträgen auf Gleichstellung an die Agentur für Arbeit zu unterstützen.
Änderungsbedarf wird in zweierlei Hinsicht gesehen:

  • Zum einen bestehen Defizite bei der Umsetzung bestehender So ist die Entscheidungspraxis der Bundesagentur für Arbeit bei der Bearbeitung von Gleichstellungsanträgen nicht bundesweit einheitlich.
  • Zum anderen erscheint es sinnvoll und erforderlich, am bestehenden Rechtsrahmen Änderungen vorzunehmen. So sollte die Schwerbehindertenvertretung ihre Beratungs- und Unterstützungstätigkeit auch auf Beschäftigte mit „leichter“ Behinderung erstrecken können – jedenfalls im Einzelfall und auf deren Wunsch.
    Bei Beschäftigten, die beispielsweise an Diabetes mellitus erkrankt sind oder die über Endoprothesen beider Hüftgelenke verfügen (und die nicht schwerbehindert oder gleichgestellt sind), kann sich die Behinderung durchaus so stark auf das Arbeitsleben auswirken, dass eine entsprechende Unterstützung durch die Schwerbehindertenvertretung angezeigt ist (z. B. Anpassung der Arbeitsinhalte, um Reisen in Tropen zu vermeiden).

Aus Sicht der Praxis sollte bei möglichen Änderungen besonders darauf geachtet werden, dass die Regelungen für alle betrieblichen Akteure leicht handhabbar sind. Es sollte deutlich werden, was wirklich mit den Änderungen (auch wenn es sich um Begrifflichkeiten handelt) gemeint ist. Es dauert bisweilen in der Praxis sehr lange, bis neue Begrifflichkeiten Fuß fassen. Als Beispiel sei hier die Bezeichnung „Grad der Behinderung“ anstelle von „Prozent der Minderung der Erwerbsfähigkeit“ genannt.

2. Wie können Integrationsvereinbarung und das Betriebliche Eingliederungsmanagement, sowie die Rolle der SBV in diesen Verfahren, vom Gesetzgeber verbindlicher gestaltet und gestärkt werden? [§ 83, § 84 SGB IX]

Die Ausführungen zu Integrationsvereinbarung und betrieblichem Eingliederungsmanagement stützen sich auf Erfahrungen im Schwerpunkt aus dem öffentlichen Dienst.

Im Bundesdienst liegen nahezu flächendeckend Integrationsvereinbarungen bzw. sog. Rahmenintegrationsvereinbarungen (die z. B. für den gesamten Geschäftsbereich eines Ministeriums gelten) vor.

Um das Instrument der Integrationsvereinbarung zu stärken, sollte überlegt werden, ob das Bundesministerium für Arbeit und Soziales verpflichtet wird, Empfehlungen für die Ausgestaltung einer Integrationsvereinbarung (eine Art Musterintegrationsvereinbarung) vorzulegen.

Eine der zentralen Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung ist es, schwerbehinderte Beschäftigte, die längerfristig arbeitsunfähig sind oder wiederholt erkranken, wieder in den Betrieb oder die Dienststelle einzugliedern und damit möglichst lange im Erwerbsleben zu halten. Die derzeitigen Regelungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement in § 84 Absatz 2 SGB IX sehen vor, dass die Schwerbehindertenvertretung lediglich bei schwerbehinderten Beschäftigten vom Arbeitgeber zu beteiligen ist.

Eine rechtliche Änderung sollte dahingehend erfolgen, dass die Schwerbehindertenvertretung – zumindest auf Antrag – auch bei nicht schwerbehinderten Beschäftigten hinzuzuziehen ist. Zusätzlich sollte durch geeignete Maßnahmen erreicht werden, dass nicht schwerbehinderte Beschäftigte möglichst frühzeitig auf die Schwerbehindertenvertretung aufmerksam gemacht werden.

Mit der Einführung des Instruments des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) wurden in den Dienststellen Verfahrensabläufe festgelegt, die teilweise stark formalisiert sind mit entsprechenden Dokumentationspflichten. Das Instrument stößt häufig in der Belegschaft auf Vorbehalte, was sich auch in eher niedrigen Annahmequoten von BEM-Angeboten niederschlägt. Eine Verbesserung der Akzeptanz wird vermutlich vor allem durch die handelnden Akteure vor Ort erreicht werden können.

3. Gibt es Handlungsbedarf bei dem besonderen Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung? [z. B. Begriff des Arbeitsplatzes § 73, Zustimmungsfiktion § 88 Absatz 5, Ausnahmen § 90]

Beim besonderen Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung wird kein Handlungsbedarf gesehen.

4. Wie kann § 95 geändert werden, um die Zuständigkeiten der SBV zu stärken und ihre Mitbestimmung verbindlicher zu machen?

Der Aufgabenbereich der Schwerbehindertenvertretung sollte zukünftig dahingehend erweitert werden, dass die Schwerbehindertenvertretung im Einzelfall bzw. auf ausdrücklichen Wunsch auch „leicht“ behinderte Menschen beraten und unterstützen kann.

Die Schwerbehindertenvertretung ist derzeit vor allem in einer beratenden Funktion tätig. Ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten hängen entscheidend von der Kraft der Argumente ab, die sie vorbringt.

Zentraler Punkt für eine Stärkung der Schwerbehindertenvertretung ist die Frage, welche Rechtsfolge bei einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Anhörung der Schwerbehindertenvertretung eintritt.

Die Anhörungspflicht sollte zukünftig so ausgestaltet werden, dass in den Fällen einer wiederholt unterbliebenen oder verspäteten Anhörung ein Mechanismus ausgelöst wird, der sicherstellt, dass zukünftige Verletzungen verhindert werden.

5. Welche Freistellungsmöglichkeiten sollen für die Vertrauensperson und die Stellvertreter gelten? Auf welche Möglichkeiten (z. B. Sachverständige heranziehen), Angebote (z. B. Schulungen) und Leistungen seitens des Arbeitgebers (z. B. Ausstattung) haben die SBV und ihre Mitglieder Anspruch? [§ 96]

Die Freistellungsmöglichkeiten sollten in mehrfacher Hinsicht verbessert werden:

Bei nicht voll freigestellten Schwerbehindertenvertretungen kommt es öfter vor, dass der Umfang der beruflichen Tätigkeit der Vertrauenspersonen nicht in entsprechender Art und Weise an die zur Durchführung der Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung erforderlichen Zeit angepasst wird. Hierbei handelt es sich um ein Umsetzungsproblem der bestehenden Regelungen. Eine Sensibilisierung der Arbeitgeber erscheint hier erforderlich.

Die Regelungen zur völligen Freistellung sollten wie folgt geändert werden:  Die Zahl der schwerbehinderten Beschäftigten, ab der in der Regel eine völlige Freistellung erfolgt, sollte von 200 auf 150 herabgesetzt werden. Die Heranziehung des ersten Stellvertreters sollte bereits ab 75 (statt bisher 100), die des zweiten Stellvertreters ab 150 (statt bisher 200) schwerbehinderte Beschäftigte ermöglicht werden.

Änderungsbedarf besteht insbesondere aufgrund des Aufgabenzuwachses der Schwerbehindertenvertretungen: wie das betriebliche Eingliederungsmanagement (oft in Verbindung mit Maßnahmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement), den demographischen Wandel (altersgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten individuell gestalten, Fachkräfte sichern), die Sicherstellung von Barrierefreiheit.

Auch bei den Schulungsmöglichkeiten sind Verbesserungen angezeigt und geboten. Dies betrifft auch den ersten und den zweiten Stellvertreter. Darüber hinaus sollten auch Schulungen für Personalräte und Betriebsräte vorgesehen werden.

6. In welchen Gremien und Ausschüssen sind weitergehende Mitsprache-, Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte für die SBV erforderlich?

In Ergänzung zu den bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Teilnahme an Sitzungen des Personalrats oder Betriebsrats, des Arbeitsschutzausschusses und des Monatsgesprächs sowie an Vorstellungsgesprächen gibt es behörden- bzw. betriebsspezifische Gremien, die für die berufliche Teilhabe von schwerbehinderten Menschen von Bedeutung sind und die nicht von den allgemeinen Beteiligungsrechten erfasst sind. Entsprechende Mitsprache-, Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung in diesen Gremien sollten in einer Integrationsvereinbarung verankert werden.

7. Welche Regelungen sind erforderlich bei Betriebsübergang und der Zusammenlegung von Betrieben oder bei multinationalen Betrieben mit Vertretungen auf europäischer oder weltweiter Ebene?

Im öffentlichen Dienst werden bei der Zusammenlegung, Neugründung oder Privatisierung von Behörden vielfach im Errichtungsgesetz oder im entsprechenden Errichtungserlass Regelungen zu Schwerbehindertenvertretungen (und ggf. zu Personal- bzw. Betriebsräten) getroffen. Im Einzelfall wird auch in Anlehnung an das Bundespersonalvertretungsgesetz verfahren. Es erscheint geboten, derartige Regelungen auch analog in der Privatwirtschaft verbindlich einzuführen.

8. Wie kann der Arbeitgeber stärker in die Verantwortung genommen werden? [z. B. Rolle des Beauftragten des Arbeitgebers § 98, Beteiligungs-, Initiativ- oder Beanstandungsrechte, rechtsverbindliche Schlichter- und Einigungsstellen.]

Die Bundesregierung sollte verpflichtet werden, jährlich über die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Dienst des Bundes zu berichten. Der Bericht sollte statistische Angaben zur Beschäftigungsquote und den Neueinstellungen in den einzelnen Bundesministerien und jeweiligen Geschäftsbereichsbehörden enthalten.

Differenzierte Angaben zur Beschäftigungssituation im Bundesdienst liegen seit 2005 nicht mehr vor und somit werden die Tendenzen in den einzelnen Bereichen nicht mehr dargestellt.

9.Sollte sich bei Ausgleichsabgabe und Quoten für Menschen mit Behinderung etwas ändern?

Um mehr schwerbehinderte Menschen ins Arbeitsleben zu integrieren, sollte die Antriebs- und Ausgleichsfunktion von Pflichtquote und Ausgleichsabgabe verstärkt werden. Hierbei sollen auch weiterhin die Bereiche erfasst bleiben, in denen es objektiv kaum Einstellungsmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen gibt. Denn mit den aus diesen Bereichen kommenden Mitteln der Ausgleichsabgabe können im Wege der Ausgleichswirkung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für schwerbehinderte Menschen bei anderen Arbeitgebern erbracht werden. Diese Überlegungen sollten flankiert werden durch weitere Bausteine zur Information und Beratung von Arbeitgebern. Die Bundesagentur für Arbeit sollte hierzu Vorschläge vorlegen.

Aus Sicht von Arbeitgebern ist es wichtig, dass sie von der Agentur für Arbeit vor allem bei besonders betroffenen schwerbehinderten Menschen ein Angebot aus einem Guss erhalten – mit Angaben zur Bereitstellung von Hilfsmitteln und etwaigen finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten.

Das Rundschreiben als PDF herunterladen:
AGSVB Rundschreiben 02/2014; und die Stellungnahme der AGSVB hier
AGSVB Rundschreiben 02/2014 Anlage